Zum Inhalt springen
Schauspiel mit Audiodeskription: Das Foto zeigt eine Gruppe verschiedener Personen, teilweise mit Langstock, gemeinsam mit Florian Eib von HörMal Audiodeskription auf der Bühne des Schauspiels in Stuttgart bei einer Tastführung. An der Bühnenkante leuchten viele rote und weiße Glühlämpchen. Foto: Maura Münter.
Eine Tast- und Bühnenführung vor dem Stück mit Audiodeskription eignet sich, um blinde und sehbehinderte Gäste schon vor dem Stück mit der Kulisse, wichtigen Requisiten und Kostümen vertraut zu machen. Foto: Maura Münter.

Schauspiel mit Audiodeskription

Fast ein ganzes Jahr haben wir auf eine der größten Produktionen mit Audiodeskription, die wir bisher begleiten konnten, hingearbeitet. Am 02. Mai 2024 gab es am Schauspiel Stuttgart zum allerersten Mal eine Aufführung mit Live-Audiodeskription. Schauspiel mit Audiodeskription ist deutschlandweit mittlerweile nicht komplett neu, aber keinesfalls alltäglich. Zur stimmungsvollen Inszenierung „Cabaret“ konnten wir eine erfreuliche Anzahl von über 80 blinden- und sehbehinderten Gästen aus ganz Deutschland begrüßen. Und es gab sogar noch mehr Ticketanfragen. Deshalb ist es umso erfreulicher, dass wir am 01. Juni 2024 noch eine weitere Vorstellung mit Audiodeskription anbieten können.

Vorplanungen für eine Audiodeskription

Eine unserer ersten Tätigkeiten ist es häufig, die Gegebenheiten am Haus zu prüfen. Unsere Fragen dabei sind etwa: Wo befinden sich gut zugängliche Sitzplätze für unsere blinden und sehbehinderten Gäste und mitunter auch deren Führhunde? Welche Möglichkeiten für eine Einsprache der Live-Audiodeskription gibt es, zum Beispiel eine Sprecherkabine. Oder müssen andere Lösungen gefunden werden? Funktioniert unsere mobile Audiotechnik einwandfrei? Und wie gestaltet sich die Zugänglichkeit im gesamten Haus?

In der Folge können wir uns dann etwas mehr auf das Stück konzentrieren. Dabei ist jede Produktion unterschiedlich. Ein erster Sichteindruck zeigt uns bereits, wo wir unseren Fokus legen müssen. Sind viele verschiedene Darstellerinnen und Darsteller zu unterscheiden? Wie sieht das Bühnenbild aus? Wie gut erzählt sich die Handlung durch den Sprechtext und wie ist das Verhältnis aus gesprochenem Text und wortloser Spielhandlung? Außerdem hat jedes Stück seine eigene Handschrift, die wir unserer Audiodeskription auch widerspiegeln wollen.

Texterstellung und Proben für Schauspiel mit Audiodeskription

Die Textbearbeitung dauert je nach Stücklänge sieben bis zehn Tage. Wir arbeiten dabei in der Regel im Tandem mit einer blinden Person, um die Qualität der Audiodeskription zu gewährleisten. Warum dies sinnvoll ist, damit hat sich übrigens auch der Deutschlandfunk in ihrem Beitrag „Wenn Sehende Blinden Filme beschreiben“ beschäftigt. Danach geht es ans Proben, wobei wir immer komplette Durchläufe proben. Eine weitere erfahrene Autorin bzw. Autor für Audiodeskription gibt in einer Art zusätzlichen Redaktion Feedback. Nach jedem Durchlauf beginnt eine weitere Runde Feinarbeit. Bei „Cabaret“ haben wir insgesamt zwei komplette Durchläufe geprobt, was für die Qualität der Audiodeskription sehr wichtig war. Schauspiel mit Audiodeskription bedeutet nicht immer nur gesprochener Text, sondern auch häufig Improvisation, Artistik, Tanz oder auch andere Choreografien. All das war Teil der Inszenierung,  weshalb wir hier im besonderen Maße „üben“ mussten.

Audiodeskription im Schauspiel: Das Foto zeigt zwei Gäste der Audiodeskriptionspremiere am Schauspiel Stuttgart bei der Tastführung. Lächelnd betrachten sie ein Fuchscollier auf einem Kleiderständer. Eine der Personen befühlt das Kunstfell des Colliers. Foto: Maura Münter.
Da während des Stückes oft wenig Zeit bleibt, Kostüme und Requisiten ausgiebig zu beschreiben, kann vor dem Stück eine Tastführung durchgeführt werden. Foto: Maura Münter.

Bühnen-, Tastführung und akustisches Programmheft

Eine Theater-Audiodeskription macht nie ein neues Stück, sondern sie ergänzt das bereits vorhandene sinnvoll, um ein möglichst gutes Verständnis für blinde und sehbehinderte Gäste zu gewährleisten. Währenddessen bleibt aber häufig für Erklärungen zu den aufwendig gestalteten Kostümen, Bühnenbildern und Requisiten zu wenig Zeit. Deshalb planen und organisieren wir – wenn möglich – fast immer Bühnen- und Tastführungen. Damit haben wir die Möglichkeit, bereits vor Stückbeginn einen Eindruck von dem zu vermitteln, was während der Aufführung passiert. Ein besonderes Merkmal von „Cabaret“ war die stilvoll schlichte, aber doch technisch sehr interessante Bühneninstallation, die wir unseren Gästen schon vor dem Stück näher bringen konnten. Die Unterstützung des Fachpersonals am Haus war hierbei von besonderer Bedeutung.

Detaillierte Kostüm-Beschreibungen und auch die Vorstellung der Stimmen, die auf der Bühne zu hören sein werden, sind häufig von Interesse. Deshalb erarbeiten wir häufig ein Akustisches Programmheft, das man sich vor der Vorstellung anhören kann. Es enthält Elemente eines klassischen gedruckten Programmhefts und auch weiterführende Beschreibungen und Hintergrundinformationen zum jeweiligen Stück.

Wir freuen uns, euch hier das Akustische Programmheft von „Cabaret“ verlinken zu dürfen. Text: Tomke Koop, Matthias Nagel und Florian Eib. Audioproduktion: Florian Eib.

Die Planung von Stückeinführungen bedarf ebenfalls einiger Überlegung und Koordination. Und natürlich jederzeit der Rücksprache mit einer sehbehinderten oder blinden Person.

Einsprache mit zwei Stimmen

Schauspiel mit Audiodeskription heißt immer auch eine Live-Einsprache. Wir werden häufig gefragt, ob es sich nicht lohnen würde, eine Stimme aufzuzeichnen und damit zu jeder Vorstellung eine Audiodeskription anbieten zu können. Das funktioniert unserer Meinung nach aus vielen Gründen nicht. Der wichtigste ist wahrscheinlich, dass eine aufgezeichnete Stimme nie auf spontanes „Spiel“ reagieren kann. Gerade das macht einen Theater- oder Schauspielabend aber aus. 

Bei „Cabaret“ standen wir zudem vor der besonderen Herausforderung, dass wir prägnant deutsche Übertitel an der Bühne eingeblendet hatten. Diese waren auch für das Verständnis des Stückes wichtig, da zu einem großen Teil Englisch gesprochen wurde. Wir haben lange überlegt, ob wir die Übertitel in unsere Audiodeskription integrieren sollen. Wir haben uns dafür entschieden, weil wir nicht davon ausgehen konnten, dass das Publikum die englischen Passagen gut genug verstehen kann und die Übertitel auch für alle anderen Personen im Raum präsent waren. Für die Einsprache war die Abgrenzung der Audiodeskription zu den Übersetzungen durch eine weibliche und eine männliche Stimme wichtig. Diese Herangehensweise ist nicht alltäglich und erforderte zusätzliche Übung und Abstimmung der Sprechenden.

Schauspiel mit Audiodeskription: Einsprache durch zwei Sprecher. In einem Raum mit Akustikwänden. Links: Florian Eib in einem dunkelgrünen T-Shirt mit Strickjacke darüber. Rechts: Tomke Koop mit braunem Bob-Schnitt und schwarzem Blazer. Beide haben Headsets bei sich und sitzen vor einem großen Monitor, auf dem die eine Live-Aufnahme des Stücks „Cabaret“ abgebildet ist.
Das Sprecher-Team bestand aus Florian Eib (links, für den Haupttext der Audiodeskription) und Tomke Koop (für die Übertitel). Als Referenz wurde eine Live-Aufnahme des Stückes in einen Sprecherraum gestreamt. Foto: Frank Bürger.

Alles in allem war die Arbeit für „Cabaret“ mit Audiodeskription am Schauspiel Stuttgart ein in allen Teilen aufwendiges, aber auch absolut bereicherndes Projekt. Besonders beeindruckt hat uns, mit welcher Hingabe auch das Haus selbst sich über die Zeit dem Thema gewidmet hat. Wir bedanken uns an dieser Stelle sehr herzlich bei Tobias Rapp aus der Dramaturgie, der jederzeit zur Stelle war, sowie bei Frank Bürger für die umsichtige technische Betreuung. Bedanken möchten wir uns bei unseren ehrenamtlichen Helferinnen, die uns am Veranstaltungstag den Rücken freigehalten haben. Besonders gefreut haben wir uns über das positive Feedback unserer vielen Gäste – etliche waren überhaupt zum ersten Mal bei einem Schauspiel mit Audiodeskription dabei. Was vor gut einem Jahr begann, hat mit all den Herausforderungen und Besonderheiten, die bei dieser Produktion zu beachten waren, eine überwältigende Premiere gefeiert.

Schauspiel mit Audiodeskription: Das Foto zeigt vom Team HörMal Audiodeskription: Tomke Koop, Matthias Nagel, Florian Eib. Vom Schauspiel Stuttgart: Tobias Rapp und das Helferteam Christina Kockerd, Marlies Wiedemann und Kristin Förster. Alle lächeln in Richtung Kamera und stehen im Theaterfoyer vom Schauspiel Stuttgart hinter zwei Tischen mit Audioguides und Kopfhörern. Links und rechts steht jeweils ein Banner vom Schauspiel und HörMal Audiodeskription.
Das Team des Premieren-Abends: Tomke Koop, Matthias Nagel und Florian Eib von HörMal Audiodeskription, Tobias Rapp vom Schauspiel Stuttgart und das Helferteam Christina Kockerd, Marlies Wiedemann und Kristin Förster. Foto: Maura Münter.