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Interview mit dem blinden Pianisten Martin Engel

Beitrag: Tomke Koop, 29.01.2022

Das neue Podcast-Jahr von  SICHTBAR – Der Podcast startet mit einem Highlight. Denn unser erster Gast in 2022 ist niemand geringeres als Martin Engel. Martin Engel ist Vollblutmusiker und Profi-Pianist. Das Besondere: Er ist geburtsblind und musste sich daher seinem Instrument und dem Notenlesen anders nähern als es sehende Schülerinnen und Schüler tun. Darüber und über seinen Weg zur Profi-Laufbahn spricht der blinde Pianist in dieser Folge von SICHTBAR – Der Podcast mit Tomke Koop.

SICHTBAR Der Podcast: Das Foto zeigt den blinden Pianisten Martin Engel von der Seite während er Klavier spielt. Dabei lächelt er. MartinE Engel trägt einen schwarzen Anzug mit schwarzem Hemd. Foto: Juliane Herrmann
Martin Engel ist geburtsblind. Seine Liebe zur Musik wurde ihm in die Wiege gelegt. Im Alter von neun Jahren erhielt er seinen ersten Klavierunterricht. Foto: Juliane Herrmann

Transkript zur Folge: Interview mit dem blinden Pianisten Martin Engel wird in Kürze hier erscheinen

Blind Klavier lernen und Noten lesen – wie geht das?

Die Liebe zur Musik und das musikalische Gespür wurden Martin Engel schon in die Wiege gelegt. „Die Veranlagungen kommen von ihm, da bin ich ganz sicher“, sagt der blinde Pianist. Gemeint ist damit sein Vater, der laut Engel eine besondere Begabung für harmonisches Denken und Hören hat. 

Seinen ersten Klavierunterricht erhielt Martin Engel im Alter von neun Jahren. „Es sollte eigentlich schon früher das Fall sein“, sagt er. Doch das war an seiner damaligen Blindenschule nicht möglich. Auch das Notenlesen wurde in der Schule nicht vermittelt. Deshalb wurde der Kontakt zu einer privaten Klavierlehrerin hergestellt. Nachdem er die ersten Stücke durch Anhören und Nachspielen eingeübt hat, wurde kurze Zeit später das Notenlesen interessant. Gemeinsam mit seiner Mutter hat der blinde Pianist sich dann in das Lesen von Braillenoten eingearbeitet. „Das war richtig hart“, sagt er. Ungefähr ein Jahr habe es gedauert, bis er Blinden-Notenschrift flüssig lesen konnte. 

Mittlerweile ist Martin Engel Profi darin und hat mehrere Ringbücher mit Braillenoten zu Hause. Viele seiner Noten bezieht er vom Deutschen Zentrum für barrierefreies Lesen (dzb lesen). Im Projekt „DaCapo“ werden Noten für blinde Musikerinnen und Musiker, egal ob Laie oder Profi, in Braillenoten und Großdruck übertragen. Diese können von Nutzerinnen und Nutzern des dzb lesen kostenlos ausgeliehen oder gekauft werden. Die Bibliothek umfasst derzeit schon mehr als 6.500 Werke. Sollte ein Werk nicht vorhanden sein, dann kümmert sich das Team von „DaCapo“ gerne um die Übertragung des gewünschten Stückes – von diesem Service macht auch Martin Engel häufig Gebrauch. Wer mehr über den Service erfahren möchte, findet hier mehr Informationen und Kontaktdaten.

Aus dem Leben eines Profi-Pianisten

In dieser Podcast-Folge berichtet uns Martin Engel von seinem Weg als blinder Pianist. Er habe dabei seinen Eltern viel zu verdanken, sagt er. Sie hätten ihn schon früh unterstützt, mit ihm das Notenlesen geübt und ihn während seines gesamtes Werdegangs unterstützt. Martin Engel studierte Klavier und später auch Cembalo. Während seines Studiums erhielt er verschiedene Auszeichnungen. 

Heute gibt der Profi-Pianist sein Wissen an seine Schülerinnen und Schüler weiter. Auf die Frage, was seinen Unterricht besonders machen würde, antwortet er: „Ich gehe gerne mal auf Tuchfühlung.“ Wo andere Lehrerinnen und Lehrer auf Sicht arbeiten, lässt Martin Engel seine Schützlinge Handhaltungen und -positionen ertasten. 

SICHTBAR – Der Podcast: Martin Engel und Tomke Koop sitzen sich gegenüber und unterhalten sich. Tomke Koop hält ein Mikrofon in Richtung des blinden Pianisten im schwarzen Rollkragenpullover. Hinter ihnen steht ein schwarzes Klavier. Foto: HörMal Audiodeskription
Martin Engel ist ein blinder Pianist und zu Gast bei SICHTBAR – Der Podcast. Im Interview erzählt er Tomke Koop vom SICHTBAR-Team von seinen musikalischen Anfängen und seinem Weg zur Profi-Karriere. Foto: HörMal Audiodeskription

Unterwegs mit Chopin, Bach und Liszt

Im Rahmen der Pandemie ist dieses Konzept natürlich in den Hintergrund getreten. Momentan finden die Stunden nur mit Abstand oder online statt. Auch der zweite wichtige Bereich in Martin Engels Tätigkeit ist dadurch betroffen: Die Live-Auftritte. Der blinde Pianist gibt gerne Konzerte in verschiedenen Teilen Deutschlands. Dabei wird er eins mit seinem Instrument, während er u. a. Werke von Chopin, Mendelssohn, Bach oder Mozart spielt. Wie so viele Veranstaltungen mussten auch viele Konzerte von Martin Engel in den letztem Jahren ausfallen. Für 2022 sind aber schon verschiedene Termine geplant. Bei seinen Auftritten arbeitet der Pianist gerne auch mit seinem Vater zusammen. Gemeinsam haben sie ein literarisch-musikalisches Programm erarbeitet, z. B. „Liszt, Chopin und Heinrich Heine: Französische Verhältnisse“. Engel spielt Stücke von Liszt und Chopin, sein Vater liest dazu passende Texte von Heine. „Insgesamt geht es darum, die Pariser Salonmusik und die Atmosphäre, die dort geherrscht haben könnte, ein bisschen zu erfassen“, sagt Martin Engel. Davon haben sie gemeinsam auch einige Weitere Programme entwickelt und hoffe, damit noch einige Jahre zusammen unterwegs zu sein. Alle Termine für kommende Auftritte sind hier veröffentlicht.


Wir sprechen in unserem Podcast „SICHTBAR“ mit Menschen über Inklusion und Barrierefreiheit. Wir porträtieren Menschen mit Behinderung, weil wir mehr über ihr Leben, die Schwierigkeiten, aber vor allem auch die Möglichkeiten wissen möchten. Dabei sind wir jederzeit auch offen für Feedback zu neuen Interview-Gästen. Schreibt uns euer Feedback und Vorschläge gerne per Mail an sichtbar@hoermal-audio.org. SICHTBAR – Der Podcast wird von HörMal Audiodeskription in Kooperation mit dzb lesen herausgegeben.